Montag, 3. April 2006

Eine Metageschichte

Irgendwann hab ich mich einmal an einer Liebesgeschichte versucht. Die Hauptdarstellerin war natürlich wunderschön, intelligent und mit einer tragischen Hintergrundgeschichte ausgestattet. Und weil ich diesen Versuch in meiner Pferdephase startete, war dieser tragische Hintergrund ein bankrotter Reiterhof, ein Rassepferd mit einem gebrochenen Bein und ein Vater, der Alkoholiker war. Aus irgendeinem Grund hatte ich sie Sabina genannt, obwohl ich doch die Sabine aus meiner Klasse gar nicht wirklich mochte, weil sie sieben Barbiepuppen besaß, zwei Kens und dann noch das Barbie-Traumhaus. Und weil sie lange Beine hatte. Und große Augen. Ich mochte sie nicht. Ich saß nun also zu Hause in meinem Zimmer und schrieb wie hoffnungsvoll Sabina – die aus meiner Liebesgeschichte – doch gewesen war. Weil der Hof ja vielleicht trotzdem gerettet werden konnte, weil das Pferd so schnell und damit ein sicherer Sieger des großen Pferderennens war und der Vater höre dann sicher auch auf zu Trinken. Am glücklichsten war sie, so schrieb ich in meiner Geschichte, wie sie mit ihrem schwarzen Hengst Mercutio über die Heide ritt. Sie fühlte sich frei, unbeschwert und losgelöst von allen Sorgen. Ich hatte keine Ahnung, was denn die Heide sei, ich wusste nur, aus meinen Pferdebüchern, dass das etwas Großes und Weites ist, auf dem reitend man unweigerlich alle Sorgen vergisst. Ihre langen blonden Haare flogen natürlich im Wind, ihre grün-grauen Augen blitzten, sie schnalzte mit der Zunge und das schwarze Pferd raste weiter. Das Pferd war natürlich nicht ganz schwarz, es hatte eine wunderschöne weiße Blesse an der Stirn, die Sabina streicheln konnte. Ich hatte ja meinen Blitz gelesen. Wie sie da so dahin ritt, da musste das Unglück kommen, und das arme schwarze Pferd stolperte. Ich ließ es fallen, ließ Sabina fallen, die wurde kaum verletzt, nur ein verstauchter Arm, aber Mercutio, dem brach ich ein Bein, dreifach und vierfach, so dass jeder echte Tierfreund einer Notschlachtung zustimmen würde. Sabina tat das natürlich nicht, das Pferd war ja ihre große Hoffnung, ihr einziger Weg aus der wirtschaftlichen und persönlichen Misere zu Hause, sie liebte es doch und sie brachte das Pferd nach Hause, zurück auf den Hof, spritzte es voll mit Schmerzmittel und hegte und pflegte und kämpfte mit ihrem betrunkenen Vater um noch ein halbes Jahr „ein halbes Jahr, Vater!“ und dann fiel mir auf, dass ich Sabina ja noch keinen Mann beschert hatte. Ich hatte ihn ganz vergessen, den rettenden Helden mit den breiten Schultern und den schwarzen Locken. Ich hatte auch keine Ahnung, wo und wie ich ihn einbauen sollte. Einen Tierarzt hatte ich schon, der fiel weg. Der war nämlich alt, mit Käppi und keinen großen moralischen Einwänden gegen das schreckliche Leiden des armen Tieres, obwohl er ja nicht wusste, was ich wusste, nämlich dass es schlussendlich wieder gesund werden und das Rennen gewinnen sollte, nach einem dramatisch spannenden Schlussspurt gegen einen weißen Wallach, ja entmannt beziehungsweise enthengst, dieser kleinen Bösartigkeit war ich mir damals schon bewusst, jedenfalls musste das Pferd überleben, und gewinnen und der Tierarzt war ja schon da und er war alt und herzlos und hatte Nasenhaare und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was Sabina denn an ihm finden sollte. Da blieb mir keiner mehr, für die Liebe. Freunde hatte das arme Mädchen sowieso keine, denn sie verbrachte ja ihre ganze Zeit am maroden Hof, mit dem Pferd und litt. Unter dem Vater, den ganzen Schulden, sie musste ja ein tragisches Leben führen.
Ich überlegte mir verzweifelt, wo ich denn die Liebe für diese Liebesgeschichte herholen sollte, eine Begegnung mit einem geheimnisvollen Reiter, nachts auf der Heide? Ein freundlicher Tierschützer, der schon bald seine Aufmerksamkeit vom schwarzen Schweif des Pferdes auf den blonden des Mädchens wenden konnte? Als allerletzten Strohhalm, dachte ich, könnte ich ja ins märchenhafte hineingehen, und den armen schwarzen Hengst nach seinem triumphalen Sieg als verzauberten Prinzen oder Milliardärssohn enttarnen, der Sabina liebte, weil sie ihm nicht den Gnadenschuss gegeben hatte.

Dann aber fiel Sabine – die aus meiner Klasse – wirklich, zwar nicht von einem Pferd, sondern eine Stiege hinunter, und nach ein paar Tagen kam sie mit einem Gips am Bein in die Schule, drauf ein paar Kritzeleien von ihrem kleinen Bruder, eine sah aus wie ein schwarzes Pferd. Ich träumte ein paar Nächte lang schlecht, glaubte schon, ich wäre eine Hexe und dachte, ich hätte Sabine mit meiner Geschichte irgendwie verflucht oder verwunschen oder so was. Ich gab sie dann auf, diese Liebesgeschichte.
Und von Pferden hatte ich nach meiner ersten Reitstunde auch genug.

Gananarama

hustensaft, baby

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